„Dating Game“, das „Herzblatt“ von Sat.1: Neuauflage der Flirtshow verheddert sich im Zeitgeist – Review (2024)

Pilawa, Susi, die Wand und auswendig gelernte Sprüche

Rezension von Glenn Riedmeier – 13.02.2023, 22:30Uhr

„Dating Game“, das „Herzblatt“ von Sat.1: Neuauflage der Flirtshow verheddert sich im Zeitgeist – Review (2)

Die Kult-Show-Wochen von Sat.1 gehen in die zweite Runde: Nach einer aufgepeppten Neuauflage von „Die Pyramide“ (zur Show-Kritik) besorgt der Bällchensender nun das Comeback der „Mutter aller Datingshows“, wie mehr als einmal betont wird: Passend am Tag vor Valentinstag kehrt „Herzblatt“ zurück. Da der BR jedoch die Markenrechte am deutschen Originaltitel hält, heißt die Show nun „Dating Game“, angelehnt an das US-Vorbild. Ansonsten gibt es viel Vertrautes, Skurriles und ein bisschen was Neues.

Offenbar darf für die Sendung aus rechtlichen Gründen nicht nur der Name „Herzblatt“ nicht verwendet werden, sondern auch nicht die charakteristische Originaltitelmelodie. Stattdessen behilft man sich mit einer stark daran angelehnten Variante in anderer Tonfolge. In seiner Anfangsmoderation aus dem kitschig-romantischen Studio voller roter Herzen-Luftballons bemüht sich Jörg Pilawa darum, das scheinbar verbotene Wort „Herzblatt“ zu umschiffen. Er spricht schlicht davon, dass diese Show bzw. die Mutter aller Datingshows bei den Kult-Show-Wochen von Sat.1 nicht fehlen darf. Nach fast 20 Jahren darf ich Sie wieder verkuppeln, freut sich der Moderator, der das Original bereits von 2001 bis 2004 präsentierte.

Nun steht er wieder im Studio mit der legendären Wand, die die Sicht zwischen dem männlichen oder weiblichen Single, der die Fragen stellt („dem Picker“), und den drei Single-Kandidatinnen bzw. -Kandidaten auf der anderen Seite versperrt, die wie im Hühnerstall nebeneinander auf Barhockern sitzen. Das Casting ist dabei äußerst gelungen: Ganz gezielt wollte man offenbar bei „Dating Game“ nicht die üblichen Anfang 20-jährigen Teilnehmer der Marke Influencer/​Modeltyp haben, die in Formaten wie „Take Me Out“, „Love Island“ oder „Are You The One?“ vor allem um Aufmerksamkeit buhlen. Stattdessen bilden die Kandidatinnen und Kandidaten einen angenehmen Querschnitt „aus dem echten Leben“ ab – von der Erzieherin über den Busfahrer bis zum spirituellen Mathematik-Lehrer. Auch ältere Semester sind dabei – was bei Datingshows leider keine Selbstverständlichkeit ist. Sogar ein ehemaliger „Herzblatt“-Kandidat aus Rudi-Carrell-Zeiten versucht erneut sein Glück.

Der Ablauf ist altbekannt: Der Picker bzw. die Pickerin stellt mehrere Fragen, auf welche die drei Single-Kandidaten originelle Antworten geben sollen. Laut Jörg Pilawa haben sich die Picker die Fragen selbst überlegt und mitgebracht. Die Antworten der Kandidaten kommen hingegen genau so einstudiert wie damals rüber. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Antworten schon bei „Herzblatt“ eben nicht so spontan gegeben wurden, wie einem dies in der Show verkauft wurde. Die Kandidaten kannten die Fragen schon vorher, um sich eine möglichst schlagfertige Antwort darauf zu überlegen. Ohne dies in irgendeiner Weise zu thematisieren (aber eben auch ohne es zu leugnen) wird auch in der Neuauflage munter und zügellos mit vorbereiteten Sprüchen geprahlt.

Auf die Frage eines Motorrad-Fans, als welches Gefährt sich eine Kandidatin beschreiben würde, meint sie beispielsweise: Ich wäre auf jeden Fall ein DTM-Tourenwagen: Ich bräuchte zwar öfter einen Boxenstopp, aber wenn ich unterwegs bin, gebe ich Vollgas! Und auf die Frage, Wenn du ein Instrument wärst, welches wäre das?, entgegnet eine Kandidatin: Ich bin gerne für dich die Flöte. Ob senkrecht oder waagrecht – aus mir bekommst du immer einen hohen Ton, was Jörg Pilawa mit einem Ho ho ho-Lacher kommentiert. Die auswendig gelernten Dialoge wirken wie ein Laienschauspiel, das aus der Zeit gefallen ist – gleichzeitig besitzt es einen gewissen Charme, weil das zaghafte Flirten in Zeiten von Nackt-Datingshows sympathisch-harmlos rüberkommt. Am besten ist „Dating Game“ jedoch immer dann, wenn es zwischendurch tatsächlich zu spontanen, ungeplanten Momenten kommt und etwa die temperamentvolle Noeli selbst Jörg Pilawa aus dem Konzept bringt.

Es gibt behutsame Neuerungen im Vergleich zu damals: So müssen die Kandidaten auf manche Fragen mit Hilfe von Gegenständen aus dem Fundus antworten – und etwa aus Requisiten zusammenstellen, wie für sie ein perfektes Valentinsdate aussehen soll. Oder aber sie müssen einen Blumenstrauß zusammenstellen und reichen diesen durch eine kleine Luke in der Wand. Für den größten WTF-Moment des Abends sorgt jedoch Bürger Lars Dietrich, der plötzlich verkleidet als Amor im weißen Engelskostüm im Studio auftaucht und eine Kandidatin mit einem auf sie zugeschnittenen Rap vorstellt. Für die einen charmant, für die anderen eher cringe – und für Oliver Kalkofe die perfekte Vorlage für einen möglichen „Mattscheiben“-Clip.

Nach insgesamt sechs Fragen folgt ein wichtiger Bestandteil, auf den in der Sendung auch unter dem Namen „Dating Game“ unmöglich verzichtet werden kann: Susi Müller, von Jörg Pilawa als die wahre Voice of Germany vorgestellt, haucht in ihrer erotisch-charmanten Stimme die Zusammenfassungen der gegebenen Antworten, um dem jeweiligen Single eine letzte Entscheidungshilfte zu geben. Anschließend folgt der Höhepunkt: Der Picker trifft seine Wahl, daraufhin stellen sich die sichtlich aufgeregten Kandidaten vor die Wand. Jörg Pilawa spricht den magischen Satz Hier ist dein Herzblatt! und unter romantischer Musikunterlegung wird die Wand langsam zurückgefahren. Der Moment des ersten gegenseitigen Sehens, wenn in den Gesichtern Freude oder Enttäuschung abzulesen ist, funktioniert auch heute noch. Als Gewinn dürfen die Singles aus drei Umschlägen wählen und erfahren dann, wo und wie sie ein gemeinsames Date verbringen dürfen.

Teil von „Herzblatt“ war früher stets die Befragung von Singles nach ihrer Reise – und ob sich aus dem Date mehr entwickelt hat. Da dies in der Neuauflage logischerweise noch nicht möglich ist, werden stattdessen die frisch zusammengeführten Paare hinter den Kulissen getrennt voneinander nach ihrem ersten Eindruck von ihrem potenziellen Partner befragt. Gespielt werden insgesamt vier Runden, also doppelt so viel wie in den regulären „Herzblatt“-Folgen von früher. Das ist für eine Primetime-Ausgabe von rund 99 Minuten noch gerade so im Rahmen.

Ob man diese Sendung in dieser Form im Jahr 2023 noch braucht, ist eine andere Frage. Jörg Pilawa hat sichtlich Spaß daran, mal nicht den Quizonkel, sondern den Kuppler geben zu dürfen. Und dennoch fehlt „Dating Game“ schlichtweg der Flair des Originals, was möglicherweise einfach dem Zeitgeist geschuldet ist. „Herzblatt“ war Trash-TV zu einer Zeit, als es den Begriff noch gar nicht gab.

Doch im Gegensatz zu damals wird heutzutage sowohl auf Streamingportalen wie auch im linearen Fernsehen gekuppelt und gedatet, was das Zeug hält. Dass es auch dort nicht überall unverfälscht zugeht, versteht sich von selbst. Bei VOX lief im direkten Gegenprogramm zu „Dating Game“ allerdings „First Dates Hotel“ – ein Format, das sich ebenfalls durch eine breitgefächerte Kandidatenauswahl auszeichnet, aber eben auch auf authentische Gespräche setzt. Schade, dass „Dating Game“ sich nicht ansatzweise traut, diesen Schritt in die Neuzeit zu wagen. Doch was soll’s, immerhin ist die Stimme von Susi zu hören… hach ja.

Insgesamt wurden von „Dating Game“ im Dezember 2022 drei Folgen aufgezeichnet. Vorerst zeigte Sat.1 jedoch nur eine Ausgabe. Die restlichen beiden Folgen werden zu einem späteren Zeitpunkt ausgestrahlt.

Über den Autor

Glenn Riedmeier ist Jahrgang ’85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“. Auch für Realityshows wie den Klassiker „Big Brother“ hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie „Die Harald Schmidt Show“ und „puss*Terror TV“, hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Roseanne“, aber auch schräge Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und „Orphan Black“. Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.

Lieblingsserien: Twin Peaks, Roseanne, Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit

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