„Antisemitismus entgegenstellen“ - Warum Daniela Ludwig mit Israel aber auch streiten will (2024)

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Von: Michael Weiser

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Kritik an Israel? Wenn‘s sein muss unbedingt. Vor allem aber Beistand. „Israel ist uns wichtig“, sagt die Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig aus Rosenheim. Mit dem OVB sprach sie über Antisemitismus, Erinnerungskultur und wahre Freundschaftsdienste.

Rosenheim – An ihrer Freundschaft zu Israel lässt die Rosenheimer Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig keinen Zweifel. Dennoch will sie Dispute nicht ausschließen. Kritik sei man einem Freund schließlich schuldig. In ihrem neuen Amt als Beauftragte der Union für Jüdisches Leben und Israel steht sie in der Aufmerksamkeit. Denn der Überfall der Hamas auf Israel im Oktober 2023 droht nicht nur den Nahen Osten zu destabilisieren, sondern verschärft auch die Stimmung in Deutschland. Mit dem OVB sprach sie über Antisemitismus aus den unterschiedlichsten Richtungen, über Erinnerungskultur und Ohrfeigen.

Wie wird man Israel-Beauftragte der Union?

Daniela Ludwig: Friedrich Merz will klarmachen, dass uns das Thema Israel sehr wichtig ist. Die Ernennung einer Beauftragten für das jüdische Leben in Deutschland ist das Signal nach außen, wie hoch die Priorität dieses Themas für die CDU/CSU-Fraktion ist. Es geht nicht nur um die Frage der Beziehungen zum Staat Israel, sondern auch um das jüdische Leben in Deutschland. Ich engagiere mich seit einigen Jahren beim Freundeskreis Yad Vashem. Dort ist es unsere Aufgabe und unser erklärtes Ziel, die Erinnerung wachzuhalten, aber auch uns dem Antisemitismus entgegenzustellen. Ich bin deshalb seit längerer Zeit sehr mit diesem Thema vertraut. Als mich der Chef fragte, überlegte ich nicht lange – wohl wissend, dass es keine einfache Aufgabe ist.

Nach dem Angriff der Hamas gab es viel Hass statt allgemeiner Solidarität mit Israel. Waren Sie überrascht?

Ludwig: Ehrlicherweise muss ich sagen, dass es mich überrascht hat. Ich verstehe es bis heute nicht. Es gibt unterschiedlichste Erklärungen dafür, warum ausgerechnet jetzt der Antisemitismus so hochkocht. Ich glaube, man muss sich eines klarmachen: Antisemitismus kommt nicht nur aus der rechten Ecke. Er kommt, was es eigentlich fast noch bedrückender macht, auch aus der linksintellektuellen Szene, aus der Hochschulszene. Ich habe den Eindruck, man versucht, einen Sündenbock zu finden. Für bestimmte Dinge, mit denen man selber nicht klarkommt.

Es wäre nicht das erste Mal.

Ludwig: Die Juden mussten in ihrer langen Geschichte immer schon als Sündenbock herhalten. Ich habe den Eindruck, es wird stark nach dem Motto Schwarz-Weiß geurteilt. Die Guten sind immer die Palästinenser, und die Schlechten sind immer die Juden. Das ist ein völlig undifferenzierter Blick. Der Angriff am 7. Oktober ist von einer Terrororganisation verübt worden, und die Israelis sind hinterrücks angegriffen worden, auf brutalste Art und Weise. Israel muss sich und seine Bürger verteidigen. Was bis heute, glaube ich, in der öffentlichen Wahrnehmung untergeht, ist, dass Israel ja nicht nur aus dem Gaza-Streifen attackiert wird, sondern mittlerweile täglich im Norden und im Süden Israels Raketenangriffe auf die Zivilbevölkerung erfolgen.

Nun könnte man einwenden, dass Israels Armee sehr hart vorgeht. Und, dass Israel Siedlungen auf besetztem Gebiet errichtet hat.

Ludwig: Wir stehen für die Sicherheit Israels und für sein Existenzrecht. Das heißt aber nicht, dass wir kritiklos alles hinnehmen, was die israelische Armee oder die israelische Regierung tun. Das gilt insbesondere auch für die Siedlungspolitik. Wir sehen das zum Teil sehr harte Vorgehen der Armee kritisch, und wir sagen das auch den Israelis. Wir sind mit Entscheidungen der Regierung Netanyahu ebenfalls kritisch ins Gericht gegangen. Solidarität mit Israel heißt nicht kritiklose Annahme von allem, was die Regierung dort tut.

Sie kennen Berlin, Sie kennen Oberbayern. Gibt es, was die Haltung zu Israel betrifft, Unterschiede?

Ludwig: Die Situation insbesondere an den Berliner Universitäten ist definitiv eine andere als in München oder Rosenheim. Es ist erschreckend, mit welcher Vehemenz sich auch das linke Lager auf die Seite von Islamisten stellt. Das kann ich nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen. Auf der anderen Seite hat die Stadt München zunächst versucht, das Camp vor der Uni örtlich etwas zu wegzuverlegen. Ein bisschen weg von den beiden geschichtsträchtigen Plätzen vor der Uni, dem Geschwister-Scholl-Platz und Professor-Huber-Platz. Und ich finde es in München ganz besonders gut, dass sich ein Protestcamp gegen das propalästinensische Protestcamp gegründet hat. Man verwüstet in München nicht die Uni, sondern setzt sich friedlich auseinander.

Welche Art von Lösung ist für diesen Konflikt denkbar?

Ludwig: Also, ich sage jetzt mal, wer aktuell eine Lösung hätte, der bekäme definitiv den Friedensnobelpreis, und daran erkennen Sie, wie schwierig es ist. Das ist ein ganz großes Thema in der internationalen Politik. Und das andere ist die innerpolitische Frage, wie wir diesen Strömungen ausgerechnet in Deutschland entgegenwirken.

Viele Leute in Deutschland sagen, ja, das haben wir jetzt von den Muslimen, die nach Deutschland emigriert sind. Es handle sich um einen muslimischen Antisemitismus. Zu kurz gedacht?

Ludwig: Das wäre eine zu einseitige Sicht der Dinge. Wenn ein Kalifat gefordert wird und eine Israel-Flagge verbrannt wird, dann wissen wir, womit wir es zu tun haben. Es gibt außerdem den rechtsextremen Antisemitismus, der ist definitiv nicht importiert, den haben wir immer schon im Land. Und wir haben Antisemitismus im linksextremen Spektrum. Antisemitismus hat viele Facetten. Und umso schwieriger ist die Bekämpfung. Wir können dem wirklich nur mit Wissen, Bildung und Aufklärung entgegenwirken. Auch bei der Vergabe von staatlichen Fördermitteln müssen wir deutlich sensibler werden. Also uns fragen, wer kriegt von uns Fördermittel, und was wird alles unter Kunstfreiheit verstanden, was in Wahrheit nichts damit zu tun hat?

Die Schulen in Rosenheim haben teilweise sehr hohen Migrationsanteil, mit vielen Kindern, deren Eltern nichts mit Deutschlands Vergangenheit zu tun haben. Und die Zeugen werden weniger. Wie kann Erinnerungskultur heute aussehen?

Ludwig: Es gibt ein Projekt, das seit dem 7. Oktober erheblichen Zulauf erfährt. Und darum stimmt es mich optimistisch. Das ist das Projekt „Meet a Jew“, also „Triff einen Juden“. Es ist vor allem für Schulen gedacht. Da geht es tatsächlich nicht darum, Holocaust-Überlebende zu treffen, sondern jüdische Mitbürger, die unter uns leben, und die aus ihrem Leben erzählen, erklären, was eine Synagoge ist und so weiter. Dieses Projekt wird von den jüdischen Gemeinden betrieben und unterstützt, und es findet großes Interesse. Auch von Schulen höre ich Gutes. Tatsächlich muss Erinnerungskultur in die Zukunft gerichtet sein. Der Holocaust ist etwas, wofür wir uns tatsächlich schämen müssen. Aber unsere Kinder haben damit eigentlich nichts mehr zu tun.So ist es besser, auf diese Art zu lernen und Vorurteile abzubauen.

Was an Israel fasziniert Sie?

Ludwig: Ich finde dieses Land unglaublich schön. Ich war dreimal dort. Anfang Juli, wenn alles gut läuft, bin ich wieder dort. Die Israelis haben wirklich das Maximale herausgeholt. Sie sind innovativ und fleißig. Ein ausgesprochen junges Volk. Das gefällt mir sehr, sehr gut. Zum Freundeskreis Yad Vashem hat mich meine familiäre Geschichte gebracht. Meine Großeltern wurden von Nazis verfolgt. Nicht, weil sie Juden waren, sondern weil sie nicht regimekonform waren. Als Kind hat mich sehr interessiert, wie es zu sowas kommen konnte. Als ich dann zum ersten Mal in Yad Vashem in Jerusalem war, hat mich das gefangen genommen. Ich habe danach mehr durch Zufall Kai Diekmann kennengelernt, den ehemaligen Chefredakteur von BILD, der den deutschen Freundeskreis seit 20 Jahren führt. Und nach einem längeren Gespräch hat er zu mir gesagt, wäre das nicht was für dich, bei uns im Kuratorium mitzumachen?

Hat man als Jude in Deutschland Grund zur Sorge?

Ludwig: Lange Zeit gab es so etwas wie Normalität. Das ist, glaube ich, nicht mehr so. Das hat sich tatsächlich geändert. Ich habe seit meiner Ernennung mit vielen Jüdinnen und Juden gesprochen. Die sagen, jüdisches Leben in Deutschland war schon lange nicht mehr so schwer wie jetzt. Jüdische Restaurants in Berlin müssen schließen, weil der Polizeischutz die Gäste abhält. Manche Juden haben Sorge, in ihrenkoscheren Supermarkt zu gehen, weil sie so als Juden identifiziert werden könnten. Mehr muss man dazu eigentlich nicht wissen. Für mich ist das wie eine Ohrfeige.

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